Ein Bruch, der alles mitnimmt
Wenn ein Kind still zur Welt kommt, endet nicht nur ein Leben. Es endet auch eine Identität, die gerade erst begonnen hat. Für viele Väter nach einer stillen Geburt ist das kein einmaliger Schock, sondern ein Gefühl, als würde ihnen innerlich etwas Wesentliches herausgerissen werden. Da stand eben noch eine Zukunft im Raum: Wir werden Eltern. Ich werde Vater. Ich halte dieses Kind. Ich beschütze euch beide. Und im nächsten Atemzug bricht all das weg. Der Körper ist noch da. Die Rolle ist weg. Das gehört zusammen – und genau das zerlegt.
Wichtig ist, das klar auszusprechen: Trauma ist nicht einfach nur, dass etwas Furchtbares passiert ist. Trauma ist das, was in dir passiert, wenn etwas so massiv, so plötzlich und so existenziell einschlägt, dass dein System es nicht regulieren kann. Es ist der Moment, in dem du gleichzeitig funktionierst und innerlich nicht mehr weißt, wer du bist. Genau das erleben viele Väter nach einer stillen Geburt. Und genau das wird von außen kaum gesehen.
Dieser Text will das sichtbar machen. Nicht als Theorie, sondern als Realität in Körper, Wahrnehmung und Selbstbild. Und er sagt ganz deutlich: Das ist kein „du bist halt empfindlich“. Das ist eine neurophysiologische und psychische Grenzerfahrung.
Vatersein beginnt lange vor der Geburt
Ein weit verbreiteter Irrtum ist, dass Männer erst dann „wirklich“ Väter sind, wenn sie ein lebendes Baby im Arm halten. Als wäre Vaterschaft ein Knopf, der im Kreißsaal gedrückt wird. Das stimmt nicht. Vaterschaft fängt viel früher an – innerlich. Sie beginnt in dem Moment, in dem aus „ich“ langsam „wir“ wird. In dem Moment, in dem aus einem Bauchbild ein Kind mit Namen wird. In dem Moment, in dem Alltag plötzlich nicht mehr nur um die eigene Person kreist, sondern um Versorgung, Schutz, Verantwortung. In dem Moment, in dem man sich selbst nicht mehr nur als Mann, sondern als Vater denkt.
Genau dort wird Identität bereits umgebaut. Der Mann plant anders. Er spricht anders. Er spürt Verantwortung anders. Er beginnt, sein eigenes Leben so zu sortieren, dass dieses Kind darin Platz hat. Und er trägt dabei nicht nur eine Idee, sondern Beziehung. Er bezieht sich auf ein Kind, das noch gar nicht da ist, als wäre es schon da. Denn innerlich ist es das längst.
Wenn dann eine stille Geburt passiert, passiert nicht nur „kein Kind kommt lebend nach Hause“. Es passiert: „Ich war schon Vater, aber ich kann jetzt nicht Vater sein.“ Das ist der Kern des Bruchs. Der Verlust trifft nicht abstrakt. Er trifft mitten in eine Identität, die bereits da ist.
Das ist wichtig, weil außen oft noch Sätze kommen wie „Ihr könnt ja nochmal versuchen“ oder „Ihr seid ja noch jung“ oder „Zum Glück ist es früh passiert“. Für Väter ist so etwas kaum erträglich. Für viele Mütter auch nicht, aber bei Vätern wird es oft gar nicht erkannt, wie tief es trifft, weil ihnen sowieso seltener Raum gegeben wird, darüber zu sprechen. Wenn du innerlich längst Vater bist und dir dann jemand sagt „Vielleicht beim nächsten Mal“, dann ist das wie ein Ausradieren. Und dieses Ausradieren macht zusätzlichen Schaden.
Die innere Kollision: „Ich bin Vater. Und ich kann kein Vater sein.“
Was viele Väter beschreiben, ist genau diese Spannung: Auf der einen Seite das klare Gefühl „Ich bin der Vater dieses Kindes“. Das ist nicht verhandelbar. Das ist kein Gedanke, das ist ein Fakt im Körper, in der Bindung, in der Verantwortung. Und auf der anderen Seite der Alltag, der plötzlich genau diese Rolle nicht hergibt. Da ist niemand, den man füttert. Da ist niemand, den man hält. Da ist kein Tagesrhythmus mit Windeln, Müdigkeit, Müdigkeit zu zweit. Stattdessen ist da Stille. Unerwartete Leere. Und diese Leere ist nicht leer. Sie ist hart.
Normalerweise wachsen innere Identität und äußeres Handeln ineinander. Wer sich als Vater erlebt, handelt wie ein Vater: beschützen, versorgen, da sein. Nach einer stillen Geburt bleibt das innere Erleben, aber das Handeln bricht weg. Genau da steckt die Wunde. Das Selbstbild sagt: „Ich bin dieser Mensch. Ich bin Vater.“ Die äußere Welt sagt: „Ich sehe dich nicht als Vater.“ Und die Gesellschaft sagt oft gar nichts. Diese drei Kräfte zusammen reißen etwas in dir auf, wofür du kein fertiges Skript hast.
Viele Männer formulieren dann Sätze wie „Ich weiß gerade nicht mehr, wer ich bin.“ Das klingt für Außenstehende manchmal nach Hilflosigkeit oder Überforderung. Es ist mehr. Es ist ein echter Identitätsriss. Du stehst körperlich im Leben, gehst vielleicht wieder zur Arbeit, fährst vielleicht wieder einkaufen, telefonierst, regelst Dinge – aber innerlich hast du keinen Ort. Das ist die Art Schmerz, von der niemand redet, wenn er „Trauer“ sagt. Aber genau diese innere Ortlosigkeit ist ein Grund, warum das Ganze traumatisch wirkt.
Trauma ist kein Charakterfehler. Es ist ein Systemzustand.
In der Psychotraumatologie spricht man davon, dass ein Trauma dann entsteht, wenn ein Ereignis so einschlägt, dass es die eigene Regulation sprengt. Es geht nicht nur um den Inhalt („Was ist passiert?“), sondern um das Erleben („Was hat es in mir gemacht?“). Ein Ereignis wirkt besonders traumatisch, wenn es zu schnell kommt, keinen Spielraum lässt und dich an deinem Kern trifft. Eine stille Geburt erfüllt genau das.
Sie passiert abrupt, oft mit Schockmomenten und medizinischer Sprache, in einem Kontext, der eigentlich für Leben steht. Sie lässt sich nicht aufhalten, nicht verhandeln, nicht rückgängig machen. Und sie trifft nicht äußerlich, sondern im innersten Selbstbild als Eltern.
Der Körper reagiert darauf nicht neutral. Er geht in Schutz. Und dieser Schutz hat zwei Gesichter, die sich im Lauf der Tage und Wochen nach der stillen Geburt ständig abwechseln können.
Das erste Gesicht ist Übererregung. Der Körper schaltet in Alarm. Herzschlag bleibt hoch. Schlaf reißt ab, oder du schläfst, aber du schläfst nicht wirklich. Du bist gereizt, ständig auf Spannung, oft nah an Wut. Gedanken kreisen ohne Pause. Du gehst immer wieder die gleichen Bilder durch. Du fühlst dich, als würdest du gleich explodieren oder als würdest du „endlich mal rausmüssen“. Es ist ein Zustand, in dem dein Körper versucht, alles unter Kontrolle zu halten, obwohl längst klar ist, dass du keine Kontrolle hast. Biologisch ist das ein Überlebensprogramm: wach bleiben, sichern, schützen, alles scannen. Psychisch fühlt es sich an wie Unruhe, Druck, Ärger, Getriebensein.
Das zweite Gesicht ist Abschalten. Plötzlich wird alles dumpf. Du spürst weniger. Manchmal fast nichts. Du funktionierst, aber innen ist es leer, wattig, weit weg. Du redest weniger. Du meldest dich nicht. Du merkst selbst, dass du abgetaucht bist, aber du kommst nicht so einfach wieder hoch. Das ist kein „Ich bin drüber hinweg“. Das ist ein Schutzmechanismus. Der Körper kappt Reizintensität, weil es sonst zu viel wäre. Von außen wirkt das manchmal kalt. Innen ist das meistens einfach Überforderung.
Diese beiden Zustände – Übererregung und Taubheit – gehören zum selben Kreislauf. Es ist der Versuch des Nervensystems, etwas zu halten, das eigentlich nicht haltbar ist. Väter pendeln da oft durch, ohne dass sie wissen, wie normal das eigentlich ist. Und sie schämen sich dafür. Viele sagen dann Dinge wie „Ich kann gerade gar nicht richtig da sein“ oder „Ich hab gar nicht so geweint wie sie, vielleicht stimmt bei mir was nicht“ oder „Ich reagiere nur noch gereizt, was ist los mit mir“. Die Antwort ist: Es ist nichts „falsch mit dir“. Dein Körper versucht gerade, dich am Laufen zu halten in einer Situation, in der du innerlich komplett aufgerissen bist.
Das „Window of Tolerance“ – warum du manchmal explodierst und manchmal gar nichts fühlst
Es gibt ein Modell, das hier hilfreich ist, ohne dich in eine Schublade zu stecken. Man nennt es das „Window of Tolerance“. Stell dir vor, dein Nervensystem hat einen Bereich, in dem es Dinge verarbeiten kann, ohne überzufahren. In diesem Bereich bist du zwar traurig, überfordert, erschöpft – aber du bist noch bei dir, du kannst fühlen, denken, sprechen.
Wenn du über dieses Fenster hinausgeschossen wirst, landest du oben: Übererregung. Das ist der Teil mit Druck, Anspannung, Wut, Rastlosigkeit, innerlicher Alarmbereitschaft. Wenn du unter dieses Fenster fällst, landest du unten: Untererregung. Das ist der Teil mit innerer Taubheit, Leere, Betäubung, Rückzug.
Nach einer stillen Geburt passiert das häufig im Minutentakt. Du bist bei deiner Partnerin, versuchst stark zu sein, versuchst zu regeln, versuchst präsent zu bleiben. Du hältst es vielleicht für 20 Minuten. Und dann fliegst du ins Nichts. Und wenn du wieder auftauchst, bist du nicht ruhig. Du bist gereizt, geladen, angespannt. Und dann schämst du dich für genau das.
Das ist einer der Gründe, warum viele Väter in dieser Zeit denken, sie würden „nicht richtig trauern“. Sie vergleichen sich mit einer Vorstellung davon, wie Trauer aussehen „sollte“. Weinen, zusammenbrechen, reden, umarmen, halten, weinen, nochmal weinen. Die Realität sieht bei ihnen oft anders aus: Schwanken zwischen „Ich regel das jetzt alles, keine Sorge“ und „Ich halt das nicht mehr aus“, zwischen „Ich bin komplett da“ und „Ich kann gerade nicht mal fühlen, dass ich traurig bin“.
Das ist kein Mangel an Liebe. Es ist kein mangelndes Mitfühlen. Es ist ein Nervensystem, das gerade versucht, nicht auseinanderzufallen.
Warum Väter nach einer stillen Geburt oft noch stiller werden
Jetzt kommt der nächste Teil, der es so schwer macht: Männer lernen früh, was von ihnen erwartet wird. Stark sein. Ruhe reinbringen. Halten. Nicht wegkippen. Aushalten. Nicht alles um sich herum „emotional machen“. Spätestens wenn eine Partnerin körperlich völlig erschöpft ist, Schmerz erlebt, Blut verliert, medizinisch betreut wird, entscheiden viele Männer innerlich: „Ich darf jetzt nicht auseinanderfallen. Ich muss funktionieren.“
Und genau an der Stelle fängt etwas Hartes an. Denn „funktionieren“ heißt in solchen Momenten oft: Man packt seinen Schmerz ein. Man weint erst später. Oder gar nicht. Man zieht sich zurück, weil man nicht möchte, dass das eigene Zusammenbrechen noch zusätzliche Last wird. Man steht daneben, aber man zeigt nicht, wie schlimm es ist.
Aus Sicht vieler Väter ist das Fürsorge. Viele glauben wirklich: „Wenn ich jetzt zusammenklappe, dann muss sie mich auch noch tragen.“ Also reißen sie sich zusammen. Und weil sie sich zusammenreißen, wirkt es nach außen, als würden sie „das ganz gut wegstecken“. Das ist eine doppelte Verletzung: Innen brennt alles, außen sagt dir die Welt, du wärst stark. Stärke klingt plötzlich wie Unsichtbarwerden.
Das wird verstärkt durch den nächsten Schritt: Alltag. Denn in ganz vielen Fällen gehen Männer früher wieder in den Alltag zurück. Arbeit. Termine. Familie. Organisation. Versicherungen. Alles, was „geregelt werden muss“. Dadurch rutschen sie sehr schnell in eine Rolle, die so aussieht, als wären sie „schon wieder klar“. Und dann kommt von außen oft der Satz, der jeden Mann in dem Moment innerlich zerschneidet: „Du musst jetzt stark sein für sie.“
Das klingt wie Anerkennung. Ist es aber nicht. Es ist ein freundlicher Satz, der gleichzeitig sagt: „Dein eigener Schmerz hat gerade keinen Platz.“ Und genau das frisst sich rein. Das ist der Grund, warum viele Männer später explodieren, körperlich erschöpfen oder in sich zusammenklappen, wenn alle anderen längst glauben: „Es ist doch jetzt ein bisschen ruhiger geworden.“
Wenn der Körper weiterredet, obwohl der Mund schweigt
Viele Väter berichten Wochen später von Symptomen, die sie nicht sofort mit Trauer verbinden. Schlafprobleme, plötzliches Aufwachen in der Nacht. Gereiztheit, die nicht mehr weggeht. Kopfdruck, Nacken wie Beton, Kiefer verspannt. Magen, der dicht macht. Kein Appetit oder nur noch Stressessen. Kreisen im Kopf. Keine Konzentration. Dieses Gefühl von „Ich kann nicht ankommen“. Oder: innere Leere, die sich anfühlt wie Abwesenheit. Nicht traurig, sondern leer.
Das sind keine „Spinnereien“. Das ist der Körper, der weiterverarbeitet, obwohl du längst versucht hast, wieder „normal“ zu laufen. Und das ist einer der Punkte, wo viele Männer zum ersten Mal wirklich merken: Ich bin nicht einfach traurig. Ich bin verletzt. Tief. Und ich komm da gerade nicht alleine raus.
Das ist der Moment, wo oft zum ersten Mal das Wort Trauma überhaupt Sinn macht. Nicht als Etikett, nicht als Diagnose, sondern als Erklärung. Nicht „Ich bin kaputt“, sondern „Das, was ich erlebt habe, war größer als meine Möglichkeiten, es zu halten.“
Diese Umdeutung ist wichtig. Weil sie aus Selbstvorwürfen („Ich krieg mich nicht zusammen“) ein klares Bild macht: „Das war zu groß. Natürlich bin ich so.“
Das ist kein „Traurigkeitsthema“. Das ist ein Systembruch.
Wenn man über Väter nach einer stillen Geburt spricht, dann wirkt es für Außenstehende oft wie ein emotionales Thema. „Er ist traurig, er ist wütend, er ist vielleicht still.“ Das greift zu kurz. Was hier passiert, ist ein Abriss im System.
Es ist ein Bruch in Identität. Du warst schon Vater, aber du darfst es im Alltag nicht sein. Du bist in einer Rolle, die du innerlich ernst genommen hast, aber du bekommst dafür keine sichtbare gesellschaftliche Anerkennung. Niemand sagt im Supermarkt „Mein Beileid, Papa“. Man behandelt dich, als wärst du wieder der, der du vor ein paar Wochen warst. Das stimmt aber nicht mehr. Du bist nicht mehr derselbe Mensch.
Es ist ein Bruch in Sicherheit. Der Körper lernt, dass Dinge, die eigentlich für „Leben“ stehen sollten – Schwangerschaft, Geburt, Klinik, Wochenbett – plötzlich mit Tod verbunden sind. Das kriegst du nicht einfach wieder aus dem Gewebe raus. Deswegen kommen Panik, wenn jemand wieder schwanger wird. Deswegen kommt Anspannung bei bestimmten Daten, bei bestimmten Räumen, bei Krankenhausgeruch. Dein Körper merkt sich Orte und Zustände.
Und es ist ein Bruch in Vertrauen in dich selbst. Viele Männer beschreiben danach das Gefühl, versagt zu haben. Nicht weil sie wirklich etwas falsch gemacht haben, sondern weil sie glauben, sie hätten „nicht schützen können“, „nicht verhindern können“, „nicht aufpassen können“, „nicht genug da sein können“. Diese Schuld sitzt tief und ist in 99 Prozent der Fälle biologisch unfair. Aber sie ist da. Und sie macht aus Trauer nicht nur Schmerz, sondern Selbstangriff.
Das alles zusammen ist kein „ich bin traurig, das geht vorbei“. Es ist ein ganzes inneres System, das gerade versucht, wieder eine Form zu finden, in der du leben kannst, ohne auseinanderzufallen.
Was das konkret heißt: Du bist nicht kaputt. Das ist die normale Reaktion auf etwas Nichtnormales.
Wenn du das liest und du merkst dich in Teilen wieder – in der Rastlosigkeit, in der Taubheit, in der Reizbarkeit, in dem „Ich weiß nicht mehr, wer ich gerade bin“, in der Schuld, in dem Drang alles zu regeln und gleichzeitig einfach nur rauszurennen –, dann ist das kein Beweis, dass du schwach bist. Es ist im Gegenteil ein Zeichen dafür, dass dein System versucht, dich durch etwas durchzubringen, wofür eigentlich kein Mensch vorbereitet ist.
Das hier braucht Anerkennung. Nicht nur deine eigene, sondern auch von außen. Männer in dieser Situation brauchen nicht das Lob, dass sie „so stark“ sind. Sie brauchen die Erlaubnis, nicht stark sein zu müssen. Sie brauchen Sätze wie: „Ich sehe, dass du trauerst.“ „Ich weiß, dass du Vater bist.“ „Du musst das nicht alleine tragen.“ Genau das hört fast niemand. Genau das macht die Lage so still.
Und das ist der Punkt, an dem Begleitung wichtig wird. Nicht erst, wenn es „klinisch schlimm“ ist. Sondern genau dann, wenn du merkst, dass dein Körper nicht mehr runterkommt, oder dass du dich selbst nicht mehr richtig spürst. Das ist nicht übertrieben. Das ist Fürsorge. Auch für die Menschen um dich herum.
Ausblick
Dieser Text gehört zu einer größeren Arbeit darüber, was perinataler Verlust mit Identität macht – besonders mit der Identität von Vätern. Es geht nicht um Pathologisierung. Es geht nicht darum, Väter in eine neue Schublade zu stecken. Es geht darum, sichtbar zu machen, dass dieser Schmerz nicht leisere Bedeutung hat, nur weil er leiser gezeigt wird.
Ich nenne dieses Projekt „Der stille Verlust einer Identität“. Es beschreibt, was passiert, wenn ein Mensch innerlich schon Vater ist – und diese Rolle ihm von außen wieder entzogen wird. Es geht um Nervensystem, Bindung, Körper, Selbstbild. Und es geht darum, wie daraus irgendwann wieder ein tragfähiges Weiter entstehen kann, ohne so zu tun, als wäre es jemals „gut gewesen“.
Am Ende geht es nicht darum, loszulassen. Es geht darum, mit etwas zu leben, das eigentlich nicht in dieses Leben passen sollte – und trotzdem da ist.
FAQ – Väter nach einer stillen Geburt
Knappe Antworten aus dem Artikel: Was im Körper passiert, warum es so still wirkt – und weshalb „Starksein“ oft Selbstschutz ist, nicht Heilung.
Weil viele Väter nach einer stillen Geburt innerlich schon Vater sind, aber diese Rolle im Alltag nicht leben dürfen. Sie halten sich zusammen, um „funktionieren“ zu können. Von außen wirkt das ruhig. Innen ist es massiver Schmerz und Identitätsriss.
Es ist Trauer, Schock und oft Trauma gleichzeitig. Das Nervensystem fährt hoch (Anspannung, Wut, kein Schlaf) oder klappt weg (Taubheit, Leere). Das ist kein „er ist halt gereizt“, sondern eine Schutzreaktion nach einem extremen Verlust.
Viele Männer glauben unbewusst, sie müssten schützen, verhindern, retten. Wenn das Kind still zur Welt kommt, erlebt der Vater nicht nur Trauer, sondern Ohnmacht. Diese Ohnmacht wird oft zu Schuld umgedeutet – auch wenn er nichts „falsch gemacht“ hat.
Viele Väter nach einer stillen Geburt entscheiden innerlich: „Ich halte sie, nicht umgekehrt.“ Das heißt: zusammenreißen, organisieren, medizinische Dinge klären. Das wirkt stark, ist aber oft Selbstverleugnung. Er schützt andere – und verschwindet dabei selbst.
Es KANN traumatisch sein. Trauma heißt hier nicht „schwach“, sondern: Das System war überlastet. Wenn Schlaf, Appetit, Konzentration oder emotionale Kontrolle über Wochen wegbrechen oder du dich selbst nicht mehr richtig spürst, ist das ein Zeichen dafür, dass dein Nervensystem kämpft – nicht dafür, dass du versagst.
Erst Stabilität. Atmen, schlafen, essen, kurze Inseln von Ruhe, kleine Rituale (Name sagen, Kerze, Hand auf den Bauch der Partnerin, ein Satz abends). Bedeutung, Sprache, Einordnung kommen danach. Der Körper muss erst runter, sonst kann der Kopf gar nichts verarbeiten.
Sofort, wenn du merkst: Ich halte das nicht mehr alleine. Spätestens dann, wenn du dauerhaft nicht schläfst, ständig unter Strom stehst, dich innerlich taub fühlst oder nur noch funktionierst. Das ist keine Schwäche. Das ist Selbstschutz – genau so, wie du andere schützen willst.
Frag nicht nur „Wie geht es ihr?“, sondern auch „Wie geht es dir?“. Sag ausdrücklich „Ich weiß, dass du Vater bist.“ Biete nicht Lösungen an. Biete Zeit an. Stille. Mitgehen. Kurze Sätze. Das macht den Unterschied zwischen gesehen werden und komplett verschwinden.

